federleicht

leben



Unser Weg

in eine

andere Welt

Wolfgang Jensen


Heimische Tierwelt

Wir unterwegs

Blumen und Pflanzen

Neuigkeiten

Geschichten

Impressum und Kontakt

Galerien

Wir

Auszug aus dem Buch von Stanislav Grof
"Kosmos und Psyche"

Die blau markierten Textstellen sind meine Kommentare - von vor zehn Jahren.
Heute würde ich erstens anders kommentieren und auch ander Passagen gedanklich und kritisch aufgreifen.

Immerhin Martin, hier steckt zumindest der Anfang zu verstehen, mit welcher grundsätzlichen Disposition Menschen die Bühne der Welt betreten.

Die anderen Kapitel kann ich Dir auch verfügbar machen.




7. Geburt, Sexualität und Tod: die kosmische Verbindung



Der Tod grenzt an unsere Geburt,
und unsere Wiege steht im Grab.
Joseph Hall




Enge Verbindungen zwischen Geburt, Sexualität und Tod
In dem Kapitel über die Möglichkeiten zur Wiedervereinigung mit dem kosmischen Ursprung habe ich kurz drei Aspekte des menschlichen Lebens erwähnt, die in besonders enger Verbindung zum transpersonalen Bereich stehen: Geburt, Sexualität und Tod. Wie wir gesehen haben, stellen alle drei wichtige Zugänge zur Transzendenz und einzigartige Gelegenheiten zur kosmischen Wiedervereinigung* dar. Dies trifft in jedem Fall zu, ob unsere Konfrontation mit einem dieser Bereiche nun symbolisch im Prozeß tiefer innerer Selbsterforschung oder in Situationen des Alltagslebens stattfindet.
*
Man stelle sich einen Stern vor, der weniger hell leuchtet als die anderen oder der am weitesten vom Zentrum einer Galaxie entfernt ist, und unterstellt ihm deswegen, er sei nicht mit dem Kosmos vereinigt. Alle Elemente der Schöpfung sind miteinander vereinigt. Und das Phänomen von Transzendenz sagt nichts aus über die grundsätzliche Bedeutung eines beteiligten und ungebundenen Objekts.
Gebärende Frauen und Menschen, die als Helfer oder Beobachter bei der Entbindung zugegen sind, können eine starke spirituelle Öffnung erleben. Dies gilt besonders dann, wenn die Geburt nicht in der entmenschlichten Atmosphäre* einer Klinik stattfindet, sondern unter Bedingungen, die es ermöglichen, ihre volle psychische und spirituelle Wirkung zu erfahren. Ähnlich kann es ein starker Katalysator mystischer Erfahrungen sein, wenn man persönlich vom Tod gestreift wird oder in inniger Vertrautheit Zeit mit Sterbenden verbringt. Und einen Menschen, der einem außerordentlich entspricht, körperlich zu lieben, kann ein zutiefst spiritueller Vorgang sein und gelegentlich sogar einen anhaltenden Prozeß der Bewußtseinsentwicklung in Gang setzen. Die enge Verbindung von Sexualität und Spiritualität ist die Grundlage östlicher tantrischer Praktiken.
*
Eine sehr persönliche Regung.  Da würde ich mich eher über den engen Geburtskanal auslassen oder die sozialen Bedingungen der Kinderaufzucht, der Bildungs- und Arbeitsstruktur, etc.  – wenn ich dank meiner Fähigkeit zu transzendieren nicht wüßte, wie wichtig traumatisierende Faktoren für die Entwicklung einer fähigen Psyche notwendig sind.
Abgesehen davon, daß sie innig mit Spiritualität verbunden* sind, können Geburt, Sexualität und Tod auch als untereinander überlappend erfahren werden. Für viele Frauen kann eine unkomplizierte Entbindung unter angenehmen Bedingungen die stärkste sexuelle Erfahrung ihres Lebens sein. Umgekehrt kann ein heftiger sexueller Orgasmus bei Frauen wie auch bei Männern gelegentlich die Form einer seelisch- geistigen Wiedergeburt annehmen. Der Orgasmus kann außerdem so überwältigend sein, daß er subjektiv als Sterben erlebt wird. Der Zusammenhang von sexuellem Orgasmus und Tod kommt in der französischen Sprache zum Ausdruck, die vom »kleinen Tod« (la petite mort) spricht. Und das Sterben, vor allem wenn es mit Atemnot einhergeht, kann eine starke sexuelle Komponente haben.
* Geburt, Sexualität und Tod sind vom Wesen her rein körperliche Phänomene und von profaner Natur. Was er auf die spirituelle Schiene schiebt, gehört vielleicht eher zur Psyche und zur Emotionalität. Und er vergißt die andere, durchaus nicht spirituelle Seite der körperlichen Medaille: Abtreibung, Vergewaltigung und Mord.

Genauso nah ist das Verhältnis zwischen Geburt und Tod. In fortgeschrittenen Stadien der Schwangerschaft haben viele Frauen Träume, in denen Todes- und Zerstörungsmotive vorkommen. Die Geburt ist für die Mutter wie auch für das Kind ein potentiell lebensbedrohlicher Vorgang. Und die Entbindung kann mit starken Todesängsten einhergehen, auch wenn sie gar nicht besonders schwierig ist und keine Lebensgefahr besteht. Das Umgekehrte gilt ebenfalls: Todeserfahrungen können mit der Geburt bestimmte Elemente gemeinsam haben, besonders das häufig auftretende Gefühl, einen Tunnel oder Trichter zu passieren und ans Licht zu kommen.

In der Arbeit mit holotropen Zuständen können wir tiefe Einsichten in das Wesen dieser Verbindungen zwischen Geburt, Sexualität und Tod erhalten. In der unbewußten Psyche sind diese drei zentralen Bereiche unseres Lebens so eng verbunden und verflochten, daß es unmöglich ist, einen davon zu erfahren, ohne mit den beiden anderen in Berührung zu kommen. Dies überrascht, weil wir in unserem Alltagsleben diese drei Bereiche normalerweise für getrennt halten und uns in unterschiedlichen Kontexten damit auseinandersetzen. Die Geburt ist etwas, womit unser Leben beginnt und wozu ein Kind gehört. Der Tod wird, sofern er nicht infolge einer schweren Krankheit oder eines Unfalls eintritt, in Zusammenhang mit dem Alter und folglich mit dem Endstadium unseres Lebens gesehen. Die Sexualität im vollen Sinne des Wortes gehört einer Zwischenperiode unseres Lebens an, deren Kennzeichen die körperliche Reife ist.

Geburt, Sexualität und Tod im perinatalen Prozeß
Diese herkömmliche Sicht des Verhältnisses zwischen Geburt, Sexualität und Tod macht tiefgreifende Veränderungen durch, wenn der Prozeß unserer tiefen inneren Selbsterforschung über die Stufe der Kindheitserinnerungen hinausgeht und bei der Geburt anlangt, beim perinatalen Bereich der Psyche. Wir stoßen auf Emotionen und körperliche Empfindungen von außerordentlicher Intensität, die oft über alles hinausgehen, was wir zuvor für menschenmöglich gehalten hatten. An diesem Punkt werden die Erfahrungen zu einer seltsamen Mischung aus Geburts- und Todesmotiven. Sie beinhalten das Gefühl einer drückenden, lebensbedrohlichen Einsperrung und eines verzweifelten und entschlossenen Kampfes um Befreiung und Überleben. In diesem nahen Verhältnis von Geburt und Tod auf der perinatalen Ebene spiegelt sich die Tatsache wider, daß die Geburt ein potentiell lebensbedrohlicher Vorgang* ist. Das Kind und die Mutter können währenddessen durchaus ums Leben kommen, und es kann sein, daß Kinder ganz blau vor Atemnot auf die Welt kommen oder daß sie sogar tot sind und wiederbelebt werden müssen.
* Darüber braucht er mit niemandem streiten. Aber er wird mit mir streiten, daß im Moment der Geburt oder des Geburtsvorganges das eigentliche Leben, die Geburt der Psyche, erst beginnt. Denn dann wird die Psyche geschaffen durch ein körperliches oder “verkörpertes” Trauma, das den “Himmel” vor der “Hölle” beschützt. Und ich vermute – darüber läßt sich streiten -, diese Schutzfunktion wird installiert, um den verletzlichen Gefühlen eines Wesens die Existenz in einer feindlichen Welt zu ermöglichen.
Die Kirche behauptet, die Geburtsschmerzen seien die Strafe für das, was sie als Erbsünde bezeichnet. Und wenn wir einen Schritt weiter gehen, können wir das auch auf ein Neugeborenes übertragen. Aber wenn wir einen “Lieben Gott” postulieren, der eine sinnvolle, fürsorgliche Welt schuf, sind wir auf dem Weg, in dem Geburtszyklus und seinen Umständen nützliche Aspekte zu finden.

Das erneute Durchleben verschiedener Aspekte der biologischen Geburt kann sehr authentisch und überzeugend sein und vollzieht diesen Prozeß häufig mit fotografischer Genauigkeit nach. Dies kann sogar bei Leuten geschehen, die überhaupt nichts von ihrer Geburt wissen und denen die elementarsten obstetrischen Kenntnisse fehlen. Wir können zum Beispiel durch direktes Erleben herausfinden, daß wir eine Steißlagengeburt waren, daß wir mit der Zange geholt wurden oder daß wir die Nabelschnur um den Hals hatten, als wir auf die Welt kamen. Wir können die Angst, das biologische Toben, die physischen Schmerzen und die Erstickungsgefühle nachempfinden, die bei diesem schreckerregenden Ereignis auftraten, und sogar das Narkosemittel genau erkennen, das bei unserer Geburt verabreicht wurde. Damit einher gehen oft diverse Haltungen und Bewegungen von Kopf und Körper, die den Ablauf einer bestimmten Entbindungsform exakt wiedergeben. Alle diese Details lassen sich bestätigen, wenn brauchbare Geburtsunterlagen oder zuverlässige Augenzeugen zur Verfügung stehen.

Der starke Niederschlag von Geburt und Tod in unserer Psyche und die enge Verbindung zwischen ihnen mag traditionelle Psychologen und Psychiater überraschen, ist aber eigentlich logisch und leicht verständlich. Die Geburt macht der intrauterinen Existenz des Fötus brutal ein Ende. Er »stirbt« als ein im Wasser lebender Organismus und kommt als eine Luft atmende, physiologisch und sogar anatomisch andere Lebensform zur Welt. Und der Durchgang durch den Geburtskanal ist selbst eine schwierige und potentiell lebensbedrohliche Situation. Weniger leicht einzusehen ist, wieso die perinatale Dynamik regelmäßig auch eine sexuelle Komponente einschließt. Und doch kommt es gemeinhin zu einer ungewöhnlich starken sexuellen Erregung, wenn wir die Endstadien der Geburt in der Rolle des Fötus wieder durchleben. Das gleiche gilt für gebärende Frauen, die eine Mischung aus Todesangst und heftiger sexueller Erregung verspüren können. Diese Verbindung wirkt merkwürdig und rätselhaft, zumal beim Fötus, und verdient sicherlich einige Worte der Erklärung.
Es scheint im menschlichen Organismus einen Mechanismus zu geben, der extremes Leiden, vor allem wenn es mit Erstickungsgefühlen einhergeht, in eine besondere Form sexueller Erregung umwandelt. Dieser empirisch feststellbare Zusammenhang läßt sich auch in verschiedenen außergeburtlichen Situationen beobachten. Menschen, die sich zu erhängen versuchten und im letzten Moment gerettet wurden, geben oft an, daß sie auf dem Höhepunkt des Erstickungsgefühls eine nahezu unerträgliche sexuelle Spannung verspürt hätten. Es ist bekannt, daß Männer, die durch den Strang hingerichtet werden, in der Regel eine Erektion haben und sogar ejakulieren. Der Literatur über Folter und Gehirnwäsche läßt sich entnehmen, daß unmenschliches physisches Leiden oft Zustände sexueller Ekstase auslöst. In weniger extremer Form ist dieser Mechanismus bei sadomasochistischen Praktiken am Werk, zu denen Strangulieren und Würgen gehören. Bei Flagellanten, die sich regelmäßig der Selbstgeißelung unterziehen, und bei religiösen Märtyrern, die unvorstellbaren Qualen ausgesetzt sind, führt der anfängliche extreme Schmerz zunächst zu sexueller Erregung und schließlich zu ekstatischer Verzückung und transzendenten Erfahrungen.
Erklärt hat er nicht besonders viel.
Ich denke mal, daß über die Sexualität Lust ins Spiel des Leids kommt. Da im Genitalbereich das Lustzentrum sitzt, und in diesem Bereich auch die traumatisierende Geburt stattfindet, scheint für die polarisierte Psyche der Zusammenhang klar zu sein. Auch die örtliche Übereinstimmung* von Zeugung und Geburt, die Vagina der Frau, weist auf einen Gleichklang von Leid und Lust hin.
Was ja nicht zwingend notwendig wäre, wenn man Mund und After beim Nahrungsverwertungprozeß sieht.


Dynamik und Symbolik der perinatalen Grundmatrizen (PGM)
Bis jetzt haben wir uns in erster Linie mit den emotionalen und physischen Aspekten der Geburtserfahrungen beschäftigt. Doch das Erfahrungsspektrum im perinatalen Bereich des Unbewußten ist nicht auf Elemente begrenzt, die sich aus den biologischen Prozessen im Umkreis der Geburt ergeben. Es beinhaltet auch eine reiche symbolische Bilderwelt, die den transpersonalen Regionen entstammt. Der perinatale Bereich ist eine wichtige Schnittstelle zwischen der biographischen und der transpersonalen Ebene der Psyche. Er stellt einen Übergang zu den historischen und archetypischen Aspekten des kollektiven Unbewußten im Jungschen Sinne dar. Da die spezifische Symbolik dieser Erfahrungen ihren Ursprung im kollektiven Unbewußten hat und nicht im individuellen Gedächtnis, kann sie aus jedem geographischen und historischen Kontext kommen und aus jeder spirituellen Tradition der Welt, ganz unabhängig von unserem rassischen, kulturellen, schulischen oder religiösen Hintergrund.
Die Identifikation mit dem Kind, dem die Tortur des Durchgangs durch den Geburtskanal bevorsteht, scheint den Zugang zu Erfahrungen von Menschen anderer Zeiten und Kulturen, verschiedenen Tieren und sogar mythischen Figuren zu eröffnen. Es ist, als würde man durch das Einklinken in die Erfahrung des um seine Geburt ringenden Fötus eine innige, beinahe mystische Verbindung mit dem Bewußtsein der menschlichen Spezies und mit anderen fühlenden Wesen erlangen, die in einer ähnlich schwierigen Lage sind oder waren.
Die innere Konfrontation mit Geburt und Tod scheint automatisch zu einer spirituellen Öffnung und zur Entdeckung der mystischen Dimensionen der Psyche und des Seins zu führen. Wie oben erwähnt, spielt es anscheinend keine Rolle, ob diese Begegnung mit Geburt und Tod in tatsächlichen Lebenssituationen stattfindet, etwa wenn Frauen entbinden oder jemand eine Todeserfahrung macht, oder ob sie rein symbolisch ist. Starke perinatale Szenenfolgen in psychedelischen und holotropen Sitzungen oder im Laufe spontaner seelisch-geistiger Krisen (»spiritueller Notsituationen«) scheinen denselben Effekt zu haben.
Die biologische Geburt hat drei deutlich verschiedene Phasen. In der ersten wird der Fötus durch Gebärmutterkontraktionen rhythmisch zusammengepreßt, ohne aus dieser Lage entkommen zu können, da der Muttermund noch fest geschlossen ist. Durch anhaltende Kontraktionen zieht sich der Gebärmutterhals über den Kopf des Fötus, bis der Muttermund für den Durchgang durch den Geburtskanal weit genug geworden ist. Mit der vollen Öffnung des Muttermundes erfolgt der Übergang von der ersten zur zweiten Phase der Entbindung, in der der Kopf in die Scheide absinkt und die allmähliche schwierige Austreibung durch den Geburtsweg beginnt. Und schließlich kommt das Neugeborene in der dritten Phase aus dem Geburtskanal hervor und wird, nachdem die Nabelschnur durchgeschnitten ist, ein anatomisch unabhängiger Organismus.
In jeder dieser Phasen durchlebt das Kind eine ganz bestimmte und typische Reihe intensiver Emotionen und körperlicher Empfindungen. Diese Erfahrungen hinterlassen tiefe unbewußte Abdrücke in der Psyche, die später eine wichtige Rolle im Leben der Person spielen. Verstärkt durch seelisch prägende Kindheitserfahrungen können die Geburtserinnerungen die Wahrnehmung der Welt formen, das Alltagsverhalten tief beeinflussen und zum Entstehen verschiedener emotionaler und psychosomatischer Störungen beitragen. In holotropen Zuständen kann dieses unbewußte Material an die Oberfläche kommen und voll erlebt werden.
Wenn der Prozeß unserer tiefen Selbsterforschung uns bis zur Geburt zurückführt, entdecken wir, daß das erneute Durchleben jeder Phase des Geburtsvorgangs mit deutlich verschiedenen Erfahrungsmustern verbunden ist, die sich durch eine ganz bestimmte Verbindung von Emotionen, körperlichen Gefühlen und symbolischen Bildern auszeichnen. Ich bezeichne diese Erfahrungsmuster als perinatale Grundmatrizen (PGM).

Die erste perinatale Grundmatrix (PGM 1)
Die erste perinatale Matrix (PGM 1) entspricht der intrauterinen Erfahrung unmittelbar vor der Geburt, und die übrigen drei (PGM II - PGM IV) entsprechen den drei klinischen Phasen der Geburt, wie sie oben beschrieben sind. Außer Elementen, die eine Wiederholung der ursprünglichen Situation des Fötus in einer bestimmten Geburtsphase darstellen, enthalten die perinatalen Grundmatrizen auch trans- personalen Bereichen entstammende natürliche, historische und mythologische Szenen mit ähnlichen Erfahrungsmerkmalen. Im folgenden möchte ich die konkreten Verbindungen zwischen der perinatalen Dynamik und dem transpersonalen Bereich kurz skizzieren.
Bevor wir uns den Einzelheiten zuwenden, möchte ich noch betonen, daß die Verbindungen zwischen den aufeinanderfolgenden Geburtsphasen und den ihnen zugehörigen symbolischen Bildern und Erfahrungen sehr spezifisch und durchgängig sind. Die Ursache für ihr gemeinsames Auftreten ist mit der herkömmlichen Logik nicht zu verstehen. Das heißt jedoch nicht, daß diese Verbindungen willkürlich und zufällig wären. Sie haben ihre eigene tiefe Ordnung, die sich am besten mit dem Begriff »Erfahrungslogik« umschreiben läßt. Er will besagen, daß der Zusammenhang zwischen den für die einzelnen Geburtsphasen charakteristischen Erfahrungen und den damit einhergehenden symbolischen Motiven nicht auf einer formalen äußeren Ähnlichkeit beruht, sondern auf der Tatsache, daß ihnen dieselben Emotionen und körperlichen Empfindungen eigen sind.
Im Nachempfinden des ungestörten embryonalen Daseins (PGM 1) erscheinen uns oft Bilder von großen Weiten ohne Grenzen. Manchmal identifizieren wir uns mit Galaxien, dem interstellaren Raum oder dem gesamten Kosmos, dann wieder schwimmen wir für unser Gefühl im Ozean oder werden zu Meerestieren wie Fischen, Delphinen oder Walen. Die ungestörte intrauterine Erfahrung kann auch in Visionen einer Natur übergehen, die sicher, wunderschön und bedingungslos nährend ist wie eine gute Gebärmutter (Mutter Natur). Wir können üppige Obstgärten, Felder mit reifem Getreide, Anbauterrassen in den Anden oder unberührte polynesische Inseln sehen. Die Erfahrung der guten Gebärmutter kann uns auch Zugänge in den archetypischen Bereich des kollektiven Unbewußten eröffnen und Bilder von Paradiesen oder Himmeln erstehen lassen, wie sie in den Mythologien der verschiedenen Kulturen beschrieben werden.
Wenn wir intrauterine Störungen neu durchleben, Erfahrungen der »schlechten Gebärmutter«, haben wir das Gefühl einer dunklen und unheimlichen Bedrohung und ist uns oft zumute, als ob wir vergiftet würden. Wir können Bilder von verseuchten Gewässern und Giftmüllhalden vor uns sehen. Darin kommt die Tatsache zum Ausdruck, daß viele pränatale Störungen durch toxische Veränderungen im Körper der schwangeren Mutter ausgelöst werden. Die Erfahrung der giftigen Gebärmutter kann mit Visionen furchterregender dämonischer Gestalten aus den archetypischen Bereichen des kollektiven Unbewußten gekoppelt sein. Wenn wir gewaltsamere Zwischenfälle während der vorgeburtlichen Existenz durchleben, etwa eine drohende Fehlgeburt oder eine versuchte Abtreibung, sind diese gewöhnlich mit dem Gefühl einer allumfassenden Bedrohung oder mit blutigen apokalyptischen Visionen vom Ende der Welt verknüpft.

Die zweite perinatale Grundmatrix (PGM II)
Wenn die Rückführungserfahrung beim Einsetzen der biologischen Geburt ankommt, haben wir in der Regel das Gefühl, in einen riesigen Strudel hineingezogen oder von einem mythischen Untier verschlungen zu werden. Es kann auch geschehen, daß die ganze Welt, ja der ganze Kosmos verschluckt wird. Damit einhergehen können Bilder von verschlingenden oder einfangenden archetypischen Ungeheuern wie Leviathanen, Drachen, Riesenschlangen, Taranteln und Kraken. Das Gefühl einer übermächtigen Lebensgefahr kann zu großer Angst und einem allgemeinen, an Paranoia grenzenden Mißtrauen führen. Wir können auch einen Abstieg in die Tiefen der Unterwelt, das Reich des Todes oder die Hölle erleben. Dies ist, wie der Mythologe Joseph Campbell so eloquent ausführte, ein universales Motiv in den Mythologien von der Fahrt des Helden (Campbell 1968).
Das Durchleben des eigentlichen ersten Stadiums der biologischen Geburt, in dem die Gebärmutter sich rhythmisch zusammenzieht, aber der Muttermund noch nicht ganz offen ist (PGM II), ist eine der schlimmsten Erfahrungen, die ein Mensch haben kann. Wir haben Klaustrophobiegefühle wie in einem monströsen Alptraum, leiden schreckliche seelische und körperliche Schmerzen und verspüren völlige Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Unsere Gefühle der Einsamkeit, Schuld, Absurdität des Lebens und existentiellen Verzweiflung können metaphysische Ausmaße annehmen. Wir verlieren den Bezug zur linearen Zeit und gewinnen die Überzeugung, diese Situation werde nie mehr aufhören und es gebe überhaupt keinen Ausweg daraus. Wir haben keinerlei Zweifel, daß dies, was uns da widerfährt, der Hölle entspricht, wie sie die Religionen beschreiben - unerträgliche seelische und körperliche Qualen ohne jede Hoffnung auf Erlösung. Begleitend können tatsächlich Bilder von Teufeln und infernalischen Landschaften aus verschiedenen Kulturen erscheinen.
Wenn wir in der grausigen Situation der Ausweglosigkeit aus den Fesseln der Gebärmutterkontrak-tionen sind, können uns Szenen aus dem kollektiven Unbewußten aufgehen, in denen Menschen, Tiere und sogar mythische Wesen in ähnlichen qualvollen und hoffnungslosen Nöten sind. Wir identifizieren uns mit Gefangenen in Kerkern, mit Insassen von Konzentrationslagern oder Irrenhäusern und mit in Fallen gefangenen Tieren. Wir können die unerträglichen Foltern von Sündern in der Hölle erleben oder von Sisyphos, wenn er im tiefsten Schlund des Hades seinen Felsen den Berg hinaufwälzt. Unsere Qual kann zur schmerzgepeinigten Frage Christi an Gott werden, warum er ihn verlassen habe. Es kommt uns so vor, als läge die Aussicht ewiger Verdammnis vor uns. Diesen Zustand der Finsternis und der abgrundtiefen Verzweiflung kennt man aus spirituellen Schriften als die »dunkle Nacht der Seele«. Von einer höheren Warte aus gesehen ist dieser Zustand trotz der Gefühle völliger Hoffnungslosigkeit, die er hervorruft, ein wichtiges Stadium der spirituellen Öffnung. In seiner ganzen Tiefe ausgekostet kann er eine ungemein läuternde und befreiende Wirkung haben.


Die dritte perinatale Grundmatrix (PGM III)
Die Erfahrung der zweiten Geburtsphase, der Austreibung durch den Geburtskanal nach der Öffnung des Muttermundes und dem Absinken des Kopfes (PGM III), ist ungewöhnlich reich und dynamisch. Den aufeinanderprallenden Energien und dem Drücken und Pressen bei der Geburt ausgesetzt, werden wir von Bildern aus dem kollektiven Unbewußten überschwemmt, die uns Titanenkämpfe und Szenen blutiger Gewalt und Folter vor Augen führen. Während dieser Phase werden wir auch mit sexuellen Impulsen und Energien von problematischer Art und ungewöhnlicher Heftigkeit konfrontiert.
Wie schon geschildert, ist die sexuelle Erregung ein wichtiger Teil der Geburtserfahrung. Damit findet unsere erste Begegnung mit der Sexualität in einem äußerst prekären Rahmen statt, in einer Situation, wo unser Leben bedroht ist, wo wir ebenso Schmerz leiden wie Schmerz bereiten und wo wir nicht atmen können. Gleichzeitig erleben wir eine Mischung aus Todesangst und urtümlichem biologischen Toben, letzteres eine verständliche Reaktion des Fötus auf diese qualvolle und lebensgefährliche Erfahrung. In den Endstadien der Geburt können wir auch mit diversen biologischen Stoffen in Kontakt kommen - mit Blut, Schleim, Urin und sogar Kot.
Wegen dieser problematischen Assoziationen stellen die Erfahrungen und Bilder, die uns in dieser Phase kommen, die Sexualität meistens in stark verzerrter Form vor. Die eigentümliche Vermischung von sexueller Erregung mit körperlichem Schmerz, Aggression, Todesangst und biologischen Stoffen läßt Szenenfolgen entstehen, die pornographisch, anomal, sadomasochistisch, skatologisch oder gar satanisch sind. Dramatische Szenen von sexuellem Mißbrauch, Perversionen, Vergewaltigungen und erotisch motivierten Morden können uns überwältigen. Hin und wieder können diese Erfahrungen die Form einer Teilnahme an Ritualen von Hexen und Satanisten annehmen. Dies scheint mit der Tatsache zusammenzuhängen, daß beim Durchleben dieser Geburtsphase die gleiche merkwürdige Verbindung von Gefühlen, Empfindungen und Elementen auftritt, die die archetypischen Szenen der Schwarzen Messe und des Hexensabbats (Walpurgisnacht) auszeichnet. Sie ist eine Mischung aus sexueller Erregung, panischer Angst, Aggression, tödlicher Bedrohung, Schmerz, Opfer und Kontakt mit normalerweise ekelhaften biologischen Stoffen. Dieses eigentümliche seelische Durcheinander geht einher mit einem Gefühl der Heiligkeit oder Numinosität, in dem sich die Tatsache ausdrückt, daß sich dies alles unmittelbar auf der Schwelle zu einer spirituellen Öffnung abspielt.
Dieses Stadium des Geburtsvorgangs kann auch mit zahllosen Bildern aus dem kollektiven Unbewußten verknüpft sein, die Szenen mörderischer Aggression darstellen wie brutale Schlachten, blutige Revolutionen, greuliche Gemetzel und Völkermorde. In allen gewaltsamen und sexuellen Szenen, die uns in diesem Stadium begegnen, wechseln wir zwischen der Rolle des Täters und der des Opfers hin und her. Dies ist der Moment einer wesentlichen Konfrontation mit der dunklen Seite unserer Persönlichkeit, Jungs Schatten, wie oben im Kapitel über Gut und Böse besprochen. Wenn diese perinatale Phase kulminiert und zur Auflösung drängt, erscheint vielen Leuten Jesus, der Kreuzweg und die Kreuzigung, oder sie erleben sogar die volle Identifikation mit den Leiden Jesu. Der archetypische Bereich des kollektiven Unbewußten trägt zu dieser Phase mythische Heldengestalten und Gottheiten bei, die Tod und Wiedergeburt verkörpern, etwa den ägyptischen Gott Osiris, die griechischen Gottheiten Dionysos und Persephone oder die sumerische Göttin Inanna.

Die vierte perinatale Grundmatrix (PGM IV)
Das erneute Durchleben des dritten Stadiums des Geburtsprozesses, des tatsächlichen Zur-Welt-Kommens (PGM IV), wird in der Regel durch das Motiv des Feuers eingeleitet. Wir können das Gefühl haben, unser Körper werde von sengender Hitze verzehrt, Visionen von brennenden Städten und Wäldern haben oder uns mit Menschen identifizieren, die auf dem Scheiterhaufen geopfert werden. In archetypischen Versionen kann dieses Feuer die Form der reinigenden Flammen des Fegefeuers oder des sagenhaften Vogels Phönix annehmen, der in seinem brennenden Nest stirbt und verjüngt aus der Asche wiedergeboren wird. Das läuternde Feuer scheint alles in uns zu vernichten, was verderbt ist, und uns zur spirituellen Wiedergeburt bereit zu machen. Wenn wir den tatsächlichen Augenblick der Geburt neu durchleben, erfahren wir ihn als völlige Vernichtung und anschließende Wiedergeburt und Auferstehung.
Um zu verstehen, warum wir das Durchleben der biologischen Geburt als Tod und Wiedergeburt erfahren, muß man sich vor Augen führen, daß das, was mit uns geschieht, viel mehr ist als bloß die Wiederholung des eigentlichen Geburtsvorgangs. Während der Geburt sind wir völlig im Geburtskanal eingesperrt und haben keine Möglichkeit, die dabei auftretenden extremen Emotionen und Empfindungen auszudrücken. Unsere Erinnerung an dieses Ereignis bleibt somit psychologisch unverdaut und unverarbeitet. Ein Großteil unseres späteren Selbstverständnisses und unserer Einstellung zur Welt ist stark von dieser ständigen tiefen Erinnerung an unsere Verletzlichkeit, Unfähigkeit und Schwäche während der Geburt kontaminiert. In gewissem Sinne sind wir anatomisch geboren, haben aber die Tatsache, daß die Not und die Gefahr vorbei sind, emotional noch nicht wirklich eingeholt. Das »Sterben« und die Qualen während des Ringens um Wiedergeburt spiegeln den Schmerz und die Lebensgefahr des biologischen Geburtsvorgangs wider. Jedoch der Ichtod, der der Wiedergeburt unmittelbar vorausgeht, ist der Tod unserer alten, durch die traumatische Prägung der Geburt entstandenen Vorstellungen davon, wer wir sind und wie die Welt beschaffen ist.
Indem wir diese alten Programme ins Bewußtsein holen und dadurch unsere Psyche und unseren Körper davon säubern, vermindern wir ihre energetische Ladung und beschneiden ihren destruktiven Einfluß auf unser Leben. Von einer höheren Warte aus gesehen ist dieser Prozeß in Wirklichkeit sehr heilsam und verwandelnd. Aber wenn die endgültige Auflösung näher rückt, können wir trotzdem paradoxerweise das Gefühl haben, daß mit dem Abzug der alten Prägungen aus unserem Organismus auch wir sterben. Manchmal kommt uns das nicht nur wie die persönliche Vernichtung vor, sondern darüber hinaus wie die Zerstörung der uns bekannten Welt.
Während uns nur noch ein kleiner Schritt von der Erfahrung der radikalen Befreiung trennt, haben wir eine alles erfassende Angst und das Gefühl einer drohenden Katastrophe von gewaltigen Ausmaßen. Der Eindruck des unmittelbar bevorstehenden Weltuntergangs kann sehr überzeugend und überwältigend sein. Das vorherrschende Gefühl ist, daß wir alles verlieren, was wir kennen und was wir sind. Gleichzeitig haben wir keine Vorstellung davon, was auf der anderen Seite ist oder ob dort überhaupt etwas ist. Diese Furcht ist der Grund dafür, daß viele Leute sich in diesem Stadium verzweifelt gegen den Vorgang wehren, wenn sie können. Infolgedessen können sie psychisch auf unbestimmte Zeit in diesen problematischen Umständen steckenbleiben.
Die Konfrontation mit dem Ichtod ist ein Stadium der spirituellen Reise, in dem wir viel Bestärkung und psychologische Unterstützung brauchen können. Wenn es uns gelingt, die metaphysische Angst zu überwinden, die an dieser wichtigen Nahtstelle auftritt, und den Dingen freien Lauf zu lassen, erleben wir die völlige Vernichtung auf allen erdenklichen Ebenen. Dazu gehören körperliches Zerbrechen, seelisches Fiasko, intellektuelle und philosophische Ohnmacht, völliger moralischer Schiffbruch und sogar spirituelle Verdammnis. Während dieser Erfahrung hat es den Anschein, als würden alle Bezugspunkte, alles, was uns im Leben wichtig und sinnvoll ist, gnadenlos zerstört.
Gleich im Anschluß an die Erfahrung der völligen Vernichtung, mit der wir gewissermaßen am »kosmischen Tiefpunkt« angekommen sind, werden wir von Visionen eines Lichts überwältigt, das eine übernatürliche Strahlkraft und Schönheit besitzt und meistens als heilig wahrgenommen wird. Diese göttliche Epiphanie kann verbunden sein mit Erscheinungen herrlicher Regenbogen, durchsichtiger Pfauenfedermuster und mit Visionen himmlischer Reiche, in denen lichte Engelwesen oder Gottheiten zu sehen sind. Dies ist auch der Zeitpunkt, an dem wir eine tiefe Begegnung mit der archetypischen Gestalt der Großen Muttergöttin oder einer ihrer vielen kulturspezifischen Formen erleben können.
Die Erfahrung, seelisch-geistig zu sterben und wiedergeboren zu werden, ist ein entscheidender Schritt dahin, unsere Identifikation mit dem “hautumschlossenen Ich” zu schwächen und wieder Anschluß an den transzendenten Bereich zu gewinnen. Wir fühlen uns erlöst, befreit und gesegnet und haben ein neues Bewußtsein unseres göttlichen Wesens und kosmischen Ranges. Wir empfinden in der Regel auch ein starkes Aufwallen positiver Gefühle gegenüber uns selbst, anderen Menschen, der Natur, Gott und dem Dasein im allgemeinen. Wir sind von Optimismus erfüllt und fühlen uns wohl an Leib und Seele.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, daß es dann zu einer derartigen heilsamen und lebensverändernden Erfahrung kommt, wenn die biologische Geburt nicht zu kräftezehrend oder von starken Narkosemitteln beeinträchtigt war. Im letzteren Fall wird das Wiedergeburtserlebnis nicht als ein triumphales Hervorkommen ans Licht empfunden. Es gleicht dann mehr dem Aufwachen nach einer durchzechten Nacht, bei dem einem schwindlig und schlecht und das Bewußtsein getrübt ist. Es kann viel zusätzlichen psychologischen Aufwand kosten, die damit verbundenen Probleme zu bearbeiten, und die positiven Ergebnisse werden viel unspektakulärer ausfallen.

Der perinatale Prozeß und das kollektive Unbewußte
Aus diesen Beschreibungen können wir ersehen, daß der perinatale Bereich der Psyche einen inneren Scheideweg von überragender Bedeutung darstellt. Er ist nicht nur der Treffpunkt von drei absolut wesentlichen Aspekten der menschlichen biologischen Existenz - Geburt, Sexualität und Tod -, sondern auch die Trennungslinie zwischen Leben und Tod, Individuum und Gattung sowie Psyche und Geist. Das voll bewußte Erleben der Inhalte dieses Seelenfeldes bei guter anschließender Verarbeitung kann weitreichende Konsequenzen haben und zu einer spirituellen Öffnung und tiefen persönlichen Verwandlung führen.
Gewöhnlich beginnt man den Prozeß der intensiven Selbsterforschung aus sehr persönlichen Gründen, die therapeutischer Art sein oder auf das eigene emotionale und spirituelle Wachstum abzielen können. Bestimmte Aspekte der perinatalen Erlebnisse deuten jedoch stark darauf hin, daß das, was dabei geschieht, in seiner Bedeutung die kurzsichtigen Interessen des Individuums bei weitem übersteigt. Die Intensität der auftretenden Emotionen und körperlichen Empfindungen und die häufig vorkommende Identifikation mit zahllosen anderen Personen aus der ganzen Menschheitsgeschichte geben diesen Erlebnissen eine ausgeprägt transpersonale Qualität.
Der folgende Auszug aus der Schilderung einer eindrucksvollen Sitzung, bei der ein holotroper Bewußtseinszustand erreicht wurde, gibt das Wesen perinataler Erfahrungen, ihre Intensität und das Ausmaß, in dem sie das kollektive Unbewußte der Menschheit anzapfen, sehr schön wieder.

Ich war überrascht und überrumpelt davon, wie furchtbar schmerzhaft diese Sitzung war. Das war nichts Persönliches und hatte mit meiner biologischen Geburt wenig zu tun. Die Schmerzen, die ich litt, hingen eindeutig erstens mit der Hervorbringung der menschlichen Spezies und zweitens mit meiner eigenen Hervorbringung zusammen. Meine inneren Grenzen wurden so weit, daß sie die gesamte Menschheit und die ganze menschliche Geschichte einbezogen, und dieses »Ich« war in ein Grauen gestürzt, das genau zu beschreiben ich außerstande bin. Es war ein blindwütiger Wahnsinn, ein wogendes kaleidoskopisches Feld voller Chaos, Schmerz und Zerstörung. Es war, als ob die gesamte Menschheit sich von allen Enden des Erdballs versammelt hätte und vollkommen durchgedreht wäre.
Mit tollwütiger Bestialität, verstärkt durch Science-fictionTechnik, gingen die Menschen aufeinander los. Viele Ströme liefen vor meinen Augen wild durcheinander, und jeder bestand aus Tausenden von Menschen, von denen manche auf vielerlei Art töteten, andere getötet wurden, manche in panischer Angst flohen, manche zusammengetrieben wurden, andere zusahen und vor Entsetzen schrien, wieder andere an dem Anblick einer wahnsinnig gewordenen Spezies zerbrachen — und alles, was sie erlebten, war »Ich«. Das Ausmaß des Sterbens und des Irrsinns läßt sich unmöglich beschreiben.

Das Problem besteht darin, einen Bezugsrahmen zu finden. Die einzigen Kategorien, die mir zur Verfügung stehen, sind banale Annäherungen, die nur eine schwache Ahnung davon geben können.
Dieses Leiden umfaßt die ganze Menschheitsgeschichte. Es ist gleichzeitig gattungsspezifisch und archetypisch. Es spielt sich in den wildesten Science-fiction- Horrorwelten ab, die unsere Vorstellungskraft übersteigen. Es erfaßt nicht nur Menschen, sondern auch Milliarden und Abermilliarden von Materiesplittern in furchtbaren galaktischen Explosionen. Maßlose Greuel. Es sind Krämpfe, die die menschliche Spezies, die das ganze Universum schütteln. Mittendrin trieben Szenen tragischer Katastrophen, verursacht von der Natur und menschlicher Gleichgültigkeit. Tausende von verhungernden Kindern überall auf der Erde, die Leiber im Tod aufgetrieben, die Augen leer auf eine Menschheit gerichtet, die sie durch systematische Umweltschändung und Nachlässigkeit umbrachte. Viel Gewalt zwischen Männern und Frauen - Vergewaltigung, Schläge, Drohungen, Vergeltungszyklen und Vernichtungszyklen.
Die Außerordentlichkeit perinataler Erfahrungen wirft einige interessante und dringende Fragen auf. Wie kommt es, daß wir im Prozeß der tiefen Selbsterforschung eine Phase erreichen, in der wir unsere individuellen Grenzen transzendieren und uns in das kollektive Unbewußte und die Gattungsgeschichte einklinken? Woher kommt dabei die große Nähe zum Tod und das Wiederdurchleben der Geburt? Wie und warum ist dieser Prozeß so eng mit der Sexualität verbunden? Welche Rolle spielt das häufige Auftauchen archetypischer Elemente in diesen Erfahrungen? Und schließlich, welche Funktion und welchen Sinn hat dieser Prozeß, und wie hängt er mit Spiritualität und Bewußtseinsentwicklung zusammen?
Ich möchte hier auf die Arbeit von Christopher Bache (1996) Bezug nehmen, dessen Arbeit in diesen wichtigen Fragen einiges geklärt hat. Der Schlüssel zum Verständnis des perinatalen Prozesses ist nach Bache seine Funktion, uns aus der Enge der blinden Abkapselung zu befreien und die Erkenntnis unseres wahren Wesens in uns zu wecken, unserer eigentlichen Identität mit dem schöpferischen Prinzip. Wie der römische Gott Janus ist der perinatale Bereich von zwiefacher Natur. Je nachdem, aus welcher Richtung wir ihn betrachten, ob vom Standpunkt des Körper-Ichs oder unseres transpersonalen Selbst aus, wird er uns ein ganz verschiedenes Gesicht zeigen.
Aus der persönlichen Perspektive gesehen scheint der perinatale Bereich der Keller unseres individuellen Unbewußten zu sein, ein Reservoir unverdauter Fragmente derjenigen Erfahrungen, die unser Überleben und unsere leibliche Unversehrtheit am stärksten bedrohten. Aus diesem Blickwinkel nehmen wir den perinatalen Prozeß und die ihm eigene Gewalt vor allen Dingen als Bedrohung unserer individuellen Existenz wahr. Aus der transpersonalen Perspektive erscheint die Identifikation mit dem Körper-Ich als Produkt fundamentaler Unwissenheit, eine gefährliche Illusion, die für die Tatsache verantwortlich ist, daß unser Leben unerfüllt, zerstörerisch und selbstzerstörerisch verläuft. Sobald wir diese fundamentale Wahrheit des Seins begreifen, sehen wir in den perinatalen Erfahrungen trotz ihres gewaltsamen und schmerzhaften Charakters radikale und drastische, aber liebevolle Versuche, das Gefängnis unserer falschen Identität zu zerschlagen und uns dadurch spirituell zu befreien. Wir werden nicht vernichtet, sondern in eine höhere Wirklichkeit hineingeboren, wo wir wieder Anschluß an unser wahres Wesen bekommen.

Individuelle Verwandlung und Heilung des Gattungsbewußtseins
Aus der Praxis der Erfahrungstherapie wissen wir, daß wir unser Unbewußtes von den unverarbeiteten Erinnerungen an seelische und körperliche Schmerzen aus der Kindheit und dem späteren Leben reinigen können, indem wir sie voll erleben. Zusammen mit positiven Erfahrungen, die wir dabei machen, befreit uns das von dem verkrüppelnden Einfluß von Traumata aus der Vergangenheit, die unser tägliches Leben inauthentisch und unbefriedigend machen. Christopher Bache meint, daß perinatale Erfahrungen in ähnlicher Weise eine wichtige Rolle in der Heilung von der traumatischen Vergangenheit der menschlichen Spezies spielen könnten.
Kann es nicht sein, fragt er, daß die Erinnerung an die Gewalt und die unersättliche Gier, die tief in die menschliche Geschichte eingeschrieben ist, Störungen im kollektiven Unbewußten verursacht, die die Gegenwart der Menschheit vergiften? Warum sollte, wenn unser Bewußtsein sich über das Körper-Ich hinaus erweitert, nicht auch die Heilwirkung über die einzelne Person hinausgehen können? Wäre es nicht denkbar, daß wir im Erleben der Schmerzen, die zahllose Generationen von Menschen im Laufe der Geschichte einander zugefügt haben, das kollektive Unbewußte tatsächlich reinigen und zu einer besseren Zukunft des Planeten beitragen?
In spirituellen Schriften finden sich große Beispiele für individuelle Leiden, die einen erlösenden Einfluß auf die Welt haben. In der christlichen Tradition ist es Jesus Christus, der für die Sünden der Menschheit am Kreuz starb. Lebhaft zum Ausdruck kommt das in dem mythologischen Motiv der Höllenfahrt, das darstellt, wie Jesus in der Zeit zwischen dem Tod am Kreuz und der Auferstehung zur Hölle niederfährt und mit der Macht seines Leidens und seines Opfers Sünder aus dem Höllenschlund befreit. Die hinduistische Tradition räumt die Möglichkeit ein, daß sehr hochstehende Yogis den Zustand der Welt und die kollektiven Probleme der Menschheit erheblich positiv beeinflussen können, indem sie diese Probleme innerlich in tiefer Meditation bearbeiten, ohne leibhaftig ihre Höhlen zu verlassen.
Im Mahäyäna-Buddhismus gibt es das schöne archetypische Bild vom Bodhisattva, der Erleuchtung erlangt, aber darauf verzichtet, ins Nirväna einzugehen, und statt dessen einen heiligen Eid leistet, sich so lange immer wieder zu inkarnieren, bis alle fühlenden Wesen befreit sind. Die Entschlossenheit des Bodhisattva, das Leiden des verkörperten Daseins auf sich zu nehmen, um anderen zu helfen, kommt in seinem großen Gelübde zum Ausdruck:

Die fühlenden Wesen sind ohne Zahl —Ich gelobe, sie alle zu retten.

Die Täuschungen sind unerschöpflich —Ich gelobe, ihnen allen ein Ende zu machen.

Die Tore des Dharma sind viele —Ich gelobe, durch alle zu treten.
Der Buddha-Weg ist der höchste —Ich gelobe, ihn zu Ende zu gehen.

Das Sterben vor dem Sterben
Viele Menschen, die holotrope Zustände erlebt haben, geben an, daß sie die perinatale Ebene der Psyche als ein Tor zwischen dem transzendenten Bereich und der materiellen Wirklichkeit sehen, einen Durchgang, der in beide Richtungen führen kann. Zum Zeitpunkt unserer biologischen Geburt, wenn wir in die materielle Welt hinaustreten, »sterben« wir für die transzendente Dimension, und umgekehrt kann unser physisches Ableben als Geburt in die Welt des Geistes aufgefaßt werden.
Die spirituelle Geburt muß jedoch nicht mit dem Tod des Körpers verknüpft sein. Sie kann jederzeit im Verlauf der tiefen Selbsterforschung oder sogar während einer spontanen seelisch-geistigen Krise (einer »spirituellen Notsituation«) eintreten. Sie ist dann ein rein symbolischer Vorgang, ein »Ichtod«, ein »Sterben vor dem Sterben« ohne jede biologische Schädigung. Abraham a Sancta Clara, ein süddeutscher Augustinermönch des 17. Jahrhunderts, faßte es in einem Satz zusammen: »Wer eh stirbt, als er stirbt, der stirbt nicht, wenn er stirbt.«
Dieses »Sterben vor dem Sterben« spielt in allen schamanischen Traditionen eine wichtige Rolle. Indem Schamanen in ihren lnitiationskrisen Tod und Wiedergeburt durchlaufen, verlieren sie die Furcht vor dem Tod, und dieses Erfahrungsfeld wird ihnen vertraut und normal. Infolgedessen können sie später dieses Reich nach Belieben besuchen und anderen ähnliche Erlebnisse vermitteln. In den Mysterien um Tod und Wiedergeburt, die im Mittelmeerraum und anderen Teilen der Alten Welt sehr verbreitet waren, erlebten die Mysten eine tiefe symbolische Konfrontation mit dem Tod. Dabei verloren sie die Furcht vor dem Tod und entwickelten eine völlig neue Wertordnung und Lebensstrategie.
Die Erfahrung des seelisch-geistigen Sterbens und Wiedergeborenwerdens (»zweite Geburt«, »Geburt aus Wasser und Geist«, ein Dvija werden) spielt in vielen religiösen Traditionen eine wichtige Rolle. Alle vorindustriellen Kulturen maßen diesen Erfahrungen in persönlicher wie auch kollektiver Hinsicht große Bedeutung bei und ersannen sichere und wirksame Methoden, sie in rituellen Zusammenhängen herbeizuführen. Die moderne Psychiatrie hält die gleichen Erfahrungen für pathologische Erscheinungen und unterdrückt sie ohne Unterschied, wenn sie heute spontan bei jemandem auftreten. Diese
bedauerliche* Strategie hat wesentlich dazu beigetragen, daß der westlichen Zivilisation die Spiritualität abhanden gekommen ist.
*
Das ist eine “niedere” Emotion. Er sollte lieber nach einer Erklärung suchen, warum Spiritualität gerade von der christlichen Kirche unterdrückt wurde – und warum sich diese “Idee” über die ganze Welt verbreiten durfte – und mußte!

Sexualität: Weg zur Befreiung oder Falle auf dem spirituellen Pfad?
Die Sexualität weist eine ähnliche innere Ambivalenz auf wie Geburt und Tod. Je nach den Umständen kann sie zu tiefen Vereinigungszuständen verhelfen oder die Trennung und Entfremdung vertiefen. Welche der beiden Möglichkeiten im Einzelfall eintritt, hängt von den Umständen und von der Einstellung der Beteiligten ab. Wenn die Partner, die sich geschlechtlich begegnen, nicht Liebe und Achtung füreinander empfinden und nur von Instinkten oder dem Drang nach Macht und Beherrschung getrieben werden, so wird der Geschlechtsverkehr höchstwahrscheinlich ihre Gefühle der Trennung und Fremdheit verstärken. Wenn die sexuelle Vereinigung zwischen zwei Partnern erfolgt, die persönlich reif sind und nicht nur biologisch gut zueinander passen, sondern zwischen denen auch tiefes seelisches Einvernehmen und gegenseitiges Verständnis bestehen, kann die körperliche Liebe zu einem starken spirituellen Erlebnis werden. Unter diesen Umständen können die beiden ihre individuellen Grenzen transzendieren und die Einheit miteinander ebenso wie die Wiedervereinigung mit dem kosmischen Ursprung empfinden.
Dieses spirituelle Potential der Sexualität ist die Grundlage altindischer tantrischer Praktiken. Paüchamakära ist eine komplexe tantrische Zeremonie, bei der man starke ayurvedische Kräutermixturen mit aphrodisiakischen und psychedelischen Eigenschaften zu sich nimmt. Ein feinsinniges, hochstilisiertes Ritual hilft den Partnern, sich mit den archetypischen Prinzipien des Weiblichen und des Männlichen zu identifizieren. Es gipfelt in einer ritualisierten sexuellen Vereinigung über eine lange Zeit hinweg (Maithuna).
Mit besonderer Übung sind die Beteiligten in der Lage, den biologischen Orgasmus zurückzuhalten, woraufhin die lange gehaltene sexuelle Erregung eine mystische Erfahrung auslöst. Im Laufe dieses rituellen Vorgangs transzendieren die Partner ihre alltäglichen Identitäten. In voller Identifikation mit den archetypischen Gestalten Shiva und Shakti erleben sie eine heilige Hochzeit, eine göttliche Vereinigung miteinander und mit dem kosmischen Ursprung. In der tantrischen Symbolik haben verschiedene Aspekte der Sexualität und der Fortpflanzungsfunktionen wie die genitale Vereinigung, Monatsblutung, Schwangerschaft und Entbindung nicht nur ihre wörtliche biologische Bedeutung, sondern verweisen auch auf höhere Ebenen des kosmischen Schöpfungsprozesses.

Praktische Konsequenzen der Erkenntnisse aus der Bewußtseinsforschung über
Geburt, Sexualität und Tod
Die in diesem Kapitel beschriebenen Beobachtungen haben wichtige praktische Konsequenzen. Sie deuten stark darauf hin, daß Veränderungen unserer Einstellung zu der Trias Geburt/Sexualität/Tod und unseres diesbezüglichen Verhaltens einen tiefen Einfluß nicht nur auf die Qualität unseres persönlichen Lebens, sondern auch auf die Zukunft der menschlichen Spezies und unseres Planeten haben können. Wir haben gesehen, daß die Erinnerungen an die pränatale Existenz, die Geburt und frühe postnatale Ereignisse tiefe Abdrücke in unserem Unbewußten hinterlassen und einen nachhaltigen Einfluß auf unser Leben ausüben. Es ist daher dringend geboten, daß wir zukünftig alles tun, was in unseren Kräften steht, um die Bedingungen zu verbessern, unter denen Kinder gezeugt werden, sich als Embryos entwickeln, zur Welt kommen und nach der Geburt behandelt werden.
Dies sollte damit beginnen, daß die Sexualerziehung der jungen Generation die notwendigen Informationen ohne irrationale moralische und religiöse Verzerrungen und unrealistische Vorschriften, Verbote und Erwartungen gibt. Aber vorurteilslose technische Angaben über die Fortpflanzungsfunktionen allein wären nicht genug. Es ist unerläßlich, das Ansehen der Sexualität zu heben, die gegenwärtig als rein biologische Angelegenheit erscheint und häufig in ihren schlimmsten Ausformungen dargestellt wird, und ihre spirituelle Grundlage aufzuzeigen. Eine andere wichtige Aufgabe ist es, die Tatsache klarzumachen, daß der Fötus ein bewußtes Wesen ist. Dies würde das Gefühl der Verantwortung erhöhen, die man mit der Zeugung eines Kindes auf sich nimmt, und die Wichtigkeit der seelischen und körperlichen Verfassung der schwangeren Mutter vor Augen führen. Es wäre auch eine wesentliche Verbesserung, wenn es mit zur Erziehung junger Erwachsener gehörte, ihre seelisch- geistige Reife als zukünftige Eltern zu fördern.
Die Entbindung aktiviert in der Regel das perinatale Unbewußte der Mutter, das den Geburtsvorgang sowohl emotional als auch physiologisch belasten kann. Es wäre deshalb ideal, wenn Frauen ihre eigene tiefe Selbsterfahrungsarbeit leisten könnten, bevor sie schwanger werden, damit diese potentiell störenden Elemente aus ihrem Unbewußten ausgeräumt wären. Besondere Aufmerksamkeit sollte dann auf die Geburt selbst verwendet werden. Dies würde eine gute psychologische und praktische Vorbereitung auf die Entbindung, natürliche Bedingungen der Geburt und liebevolle nachgeburtliche Pflege mit ausreichendem körperlichen Kontakt zwischen Kind und Mutter einschließen. Es gibt gute Gründe zu der Annahme, daß die Umstände der Geburt eine wichtige Rolle dabei spielen, einen späteren Hang zu Gewalt und Selbstzerstörung oder umgekehrt zu liebevollem Verhalten und gesunden zwischenmenschlichen Beziehungen zu erzeugen.
Der französische Geburtshelfer Michel Odent (1995) hat gezeigt, wie sich diese perinatale Prägung, die unser Gefühlsleben in Richtung auf Liebe oder auf Haß lenken kann, aus der Geschichte unserer Spezies verstehen läßt. Der Geburtsvorgang hat zwei verschiedene Aspekte, und an beiden sind bestimmte Hormone beteiligt. Die angespannte Tätigkeit der Mutter während der Entbindung selbst hängt primär mit dem Adrenalinsystem zusammen. Die Adrenalinmechanismen spielten auch in der Evolution der Spezies eine wichtige Rolle als Vermittler der aggressiven und der schützenden Instinkte der Mutter zu Zeiten, in denen die Geburt normalerweise in freier natürlicher Umgebung stattfand. Sie ermöglichten es Frauen, vom Gebären rasch auf Kampf oder Flucht umzustellen, wenn der Angriff durch ein Raubtier das nötig machte.
Die andere mit der Geburt verbundene Aufgabe, die vom evolutionären Standpunkt aus genauso wichtig ist, ist die Herstellung der Bindung zwischen der Mutter und dem Neugeborenen. Dieser Vorgang erfolgt unter Beteiligung des Hormons Oxytozin, das bei Tieren und Menschen mütterliches Verhalten bewirkt, und von Endorphinen, die Abhängigkeit und Anhänglichkeit fördern. Prolaktin, das Hormon, das die Milchsekretion auslöst, hat ähnliche Wirkungen. Die geschäftige, laute und chaotische Atmosphäre vieler Krankenhäuser führt zu Beklemmung und reizt die Adrenalinmechanismen unnötig. Sie prägt das Bild einer Welt ein, die potentiell gefährlich ist. Wie die Urwaldumgebung der Urzeit fordert eine solche Situation aggressive Reaktionen heraus. Umgekehrt schafft eine ruhige, sichere und private Umgebung eine Atmosphäre der Geborgenheit, die liebevolle Zuwendungsmuster entstehen läßt. Eine radikale Verbesserung der Geburtspraktiken könnte einen weitreichenden positiven Einfluß auf das seelische und körperliche Wohlergehen der menschlichen Spezies haben und den Wahnwitz ihres Verhaltens eindämmen, das derzeit sogar die Grundlage des Lebens auf diesem Planeten zu zerstören droht.
Ich habe die perinatalen Vorgänge bis jetzt nur unter dem biologischen und psychologischen Gesichtspunkt behandelt. Jedoch die pränatale und perinatale Geschichte hat auch wichtige Auswirkungen auf unser spirituelles Leben. Wie wir gesehen haben, bedeuten Inkarnation und Geburt die Trennung und Entfremdung von unserem wahren Wesen, welches Absolutes Bewußtsein ist. Positive Erfahrungen im Mutterschoß und nach der Geburt sind dem Göttlichen so nah, wie wir ihm in unserem Leben als Embryos und als Kinder überhaupt kommen können. Die »gute Gebärmutter« und die »gute Brust« stellen somit erlebte Brücken zur transzendenten Ebene dar. Umgekehrt befördern uns negative und schmerzhafte Erfahrungen in der intrauterinen Periode, während der Geburt und in der frühen postnatalen Periode tiefer in den Zustand der Entfremdung vom göttlichen Ursprung hinein.
Wenn unsere pränatalen und frühen postnatalen Erfahrungen überwiegend positiv sind, haben wir gute Voraussetzungen, unser ganzes Leben über eine natürliche Verbindung zum kosmischen Ursprung zu halten. Wir können die göttliche Dimension in der Natur und im Kosmos spüren und sind fähig, das inkarnierte Dasein in hohem Maße zu genießen. Umgekehrt kann, wenn unsere frühe Entwicklung nur eine einzige Serie von Traumata war, der Verlust der Verbindung zum spirituellen Ursprung so vollständig sein, daß unser Dasein in der materiellen Welt ein schmerzlicher Leidensweg voll seelischer Qualen ist.
Ich sollte auch erwähnen, daß sich aus einem extrem schweren
Trauma manchmal eine Situation ergeben kann, in der das Bewußtsein (?) sich vom Körper abspaltet und in den transpersonalen Bereich katapultiert wird. Dadurch kann ein Fluchtweg entstehen, der in späteren schwierigen Lebenssituationen regelmäßig als Schutzmechanismus benutzt wird. Diese Form spiritueller (?) Verbindung kann uns helfen, uns vor übermäßigem Schmerz zu bewahren, aber sie erhöht die Qualität des Lebens nicht, da der Mechanismus nicht gut in die übrige Persönlichkeit integriert ist.
Grundlegende Veränderungen sind auch in unserer Einstellung zum Tod nötig. Wir haben gesehen, daß der Tod eine starke und wichtige Darstellung in unserem Unbewußten hat. Seine tiefsten Manifestationen sind transpersonaler Art und erscheinen als zornige archetypische Gestalten und karmische Protokolle lebensgefährlicher Situationen aus anderen Inkarnationen. Die Erinnerungen an Lebensbedrohungen im Mutterschoß, während der Geburt und danach sind weitere wichtige Quellen der Furcht vor dem Tod. Bei vielen von uns kommen dazu noch Erinnerungen an schwere Traumata, die wir später im Leben bekommen haben.
Das drohende Gespenst des Todes*, das wir in unserem Unbewußten sitzen haben, beeinträchtigt unser Alltagsdasein und macht unser Leben in vieler Hinsicht inauthentisch. In technisierten Gesellschaften sind die vorherrschenden Reaktionen auf diesen Sachverhalt massive Leugnung und Verdrängung, die in der Konsequenz auf der individuellen wie auch auf der kollektiven Ebene zerstörerisch und selbstzerstörerisch sind.
*
Ich würde hier ganz anders argumentieren. Körper ist ein Produkt von Geist. Körper entsteht und verfällt, sein Tod ist vorprogrammiert unausweichlich – er (der Körper) braucht keine Angst davor haben. Trotzdem ist die Angst ein treibendes Element für Mensch und Gesellschaft – und wenn Tod als das Ende einer Existenz keine “Bedeutung” für die Entwicklung hätte, gäbe es keine Angst, und es gäbe die Angst auch nicht, wenn das Problem, was sie löst, anders zu lösen wäre.
Es ist für die Zukunft der Menschheit unerläßlich, daß wir diese Leugnung durchbrechen und mit dem Problem der Unbeständigkeit und unserer Sterblichkeit zurechtkommen. Es gibt alte und moderne Methoden der tiefen Selbsterforschung, die uns helfen können, uns der Furcht vor dem Tod zu stellen, sie voll ins Bewußtsein zu bringen und zu überwinden. Wie wir oben gesehen haben, kann uns das »Sterben vor dem Sterben« die Kanäle in die transzendente Dimension des Seins öffnen und uns auf eine Reise bringen, die zuletzt zur Entdeckung unserer wahren Identität führen kann. Dabei können wir eine emotionale und psychosomatische Heilung durchmachen, so daß unser Leben befriedigender und authentischer wird. Diese tiefe seelisch-geistige Verwandlung kann unser Bewußtsein auf eine völlig andere Ebene heben und unser Leben streßfreier und erfüllender machen.
Es ist wichtig, sich über die Existenz und die Natur dieses Prozesses im klaren zu sein und Menschen, die ihn unabsichtlich in Situationen der Todesnähe oder in spontanen seelisch-geistigen Krisen (»spirituellen Notsituationen«) erleben, Führung und Beistand zu geben. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, im größeren Maßstab alte und moderne Methoden der tiefen Selbsterforschung zugänglich zu machen, die es ermöglichen, diesen Prozeß bewußt zu durchlaufen. Die Gesellschaften der vorindustriellen Zeit und des Altertums hatten bestimmte Verfahren in Form von Übergangsriten und Mysterien um Tod und Wiedergeburt, die eigens auf diesen Zweck zugeschnitten waren. Dank des alten Wissens, das in den letzten paar Jahrzehnten durch Bewußtseinsforschung, transpersonale Psychologie und Thanatologie wiederentdeckt wurde, haben wir heute die Möglichkeit, die emotionale Qualität unseres Lebens wie auch unseres Todes wesentlich zu verbessern.
Menschen, die zu Lebzeiten Tod und Wiedergeburt ins Auge gesehen und Anschluß an die transpersonale Dimension gefunden haben, glauben mit gutem Grund, daß ihr leibliches Ableben nicht das Ende ihrer Existenz bedeuten wird. Sie haben auf sehr überzeugende Weise persönlich erlebt, daß ihr Bewußtsein die Grenzen ihres physischen Körpers transzendiert und unabhängig davon agieren kann. Infolgedessen erblicken sie im Tod eher einen Übergang in eine andere Existenzform und ein ehrfurchtgebietendes Bewußtseinsabenteuer als die endgültige Niederlage und Vernichtung. Selbstverständlich kann diese Sichtweise an sich schon die Einstellung zum Tod und die Erfahrung des Sterbens wesentlich verändern. Menschen, die sich der tiefen Selbsterforschung widmen, haben auch die Möglichkeit, nach und nach mit vielen schwierigen Aspekten ihres Unbewußten fertig zu werden, mit denen wir uns andernfalls in der Endphase unseres Lebens befassen müssen.

Die Einsichten aus der Arbeit mit holotropen Zuständen haben auch wichtige
Auswirkungen auf die Art, wie wir mit den Endstadien des Lebens, unseres eigenen
wie des Lebens anderer Leute, praktisch umgehen. Wenn wir das Bewußtsein und nicht
die Materie für die ausschlaggebende Dimension unseres Daseins halten, wird uns die
Art und die Qualität unserer Erfahrung des Sterbens und des Todes mehr am Herzen
liegen als die mechanische Verlängerung des Lebens um jeden Preis. In der Arbeit mit
Sterbenden werden wir viel Nachdruck auf die Qualität der Kommunikation legen und

sinnvollen seelisch-geistigen Beistand leisten. Wir werden die technische Hexerei der modernen Medizin durch echte menschliche Pflege ergänzen und in manchen Fällen ersetzen. Wenn es stimmt, was das Bardo Thödol, das »Tibetische Totenbuch«, uns sagt, ist die Art, wie wir dem Tod gegenübertreten und ihn erleben, von entscheidender Bedeutung. Wenn wir ausreichend vorbereitet sind, ist dieser Zeitpunkt eine einzigartige Gelegenheit, die sofortige spirituelle Befreiung zu erlangen. Wenn uns das nicht gelingt, wird, den tibetischen Lehren zufolge, unsere gute oder schlechte Vorbereitung auf den Tod die Art unserer nächsten Inkarnation bestimmen.



zentraler
Menüknopf

Wir
Startseite